kompakt | Agrar-Initiativen

Die Agrar-Initiativen, über welche am 13. Juni 2021 abgestimmt wird, wollen den Einsatz von Pestiziden beschränken resp. verbieten. Der inoffizielle Gegenvorschlag – das Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden – ist aber der bessere, schnellere und realistischere Weg zur Reduktion von Pestizid-Risiken.

Eine Annahme der Initiativen würde zum Verschwinden des Anbaus verschiedener Kulturen in der Schweiz führen. Ein totales Verbot synthetischer Pflanzenschutzmittel und Biozide, wie es die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» für Produkte aus dem In- und Ausland verlangt, hätte nebst Versorgungsengpässen und einer Verteuerung von Lebensmitteln auch den Abbau von Produktionskapazitäten und von Arbeitsplätzen in der Schweiz zur Folge. Weil das Importverbot internationales Handelsrecht verletzt, könnten andere Länder zudem wirtschaftliche Sanktionen gegen die Schweiz ergreifen.

Die vom Parlament vorgeschlagene Gesetzeslösung ist der bessere Weg: Die mit Pflanzenschutzmitteln und Bioziden verbundenen Risiken für Flüsse und Seen, naturnahe Lebensräume und als Trinkwasser genutztes Grundwasser müssen demnach bis 2027 um 50 Prozent reduziert werden.

Auf dem Weg zu mehr Ökologie braucht die Schweizer Landwirtschaft Unterstützung. Dabei gilt es, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Agrargrenzschutzbedingte Nachteile der zweiten Verarbeitungsstufe müssen abgebaut oder ausgeglichen werden. Sonst drohen Produktionsverlagerungen und eine weitere Verdrängung durch Importprodukte.

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Was fordert die Volksinitiative “Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide”?

Die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» fordert ein Verbot des Einsatzes synthetischer Pestizide

  • in der landwirtschaftlichen Produktion,
  • in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse,
  • in der Boden- und Landschaftspflege,
  • und in zu gewerblichen Zwecken importierten Lebensmitteln inkl. Rohstoffen.

Was fordert die “Trinkwasser-Initiative”?

Die Volksinitiative "Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz (Trinkwasser-Initiative)” fordert, dass Direktzahlungen nur an Landwirtschaftsbetriebe ausgerichtet werden, die:

  • pestizidfrei produzieren,
  • nicht vorbeugend oder regelmässig Antibiotika einsetzen und
  • in der Lage sind, ihre Tiere mit dem Futter zu ernähren, das sie selber produzieren.

Was sind Pestizide?

Pestizide werden eingesetzt, um Pflanzen, Tiere, Menschen und Materialien vor schädlichen oder unerwünschten Organismen und Krankheitserregern zu schützen. Pestizide umfassen Pflanzenschutzmittel und Biozide:

  • Pflanzenschutzmittel schützen Pflanzen vor Krankheiten, Insekten und Schneckenfrass oder Unkräutern. Eingesetzt werden sie beispielsweise zum Schutz von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, gegen zu viel Unkraut auf Bahngeleisen oder zur Pflege von Pärken, Sportplätzen und Gärten.
  • Biozide dienen zur Desinfektion (z. B. der Hände, von Schwimmbädern, Lebensmittel-Lagerräumen oder Anlagen zur Milchproduktion). Sie werden auch zum Schutz von Material (z. B. Schutz von Holz vor Pilzbefall) und zur Bekämpfung von Schädlingen (z. B. Insekten und Ratten) eingesetzt.

Was sind synthetische Pestizide?

Die Auswirkungen eines Verbots aller synthetischen Pestizide hängt stark von der Definition des Begriffs ab. Im Initiativtext wird der Begriff nicht definiert. Auch die geltenden Gesetze und Standards für landwirtschaftliche Produktionssysteme (z. B. für die Bio-Landwirtschaft) enthalten keine klare Definition. Der Begriff müsste deshalb vom Parlament nach Annahme der Initiative im Gesetz festgelegt werden.

Die Botschaft des Bundesrats verweist dazu auf die Synthese als Herstellungsverfahren:

“Eine Synthese ist ein Herstellungsverfahren für chemische Verbindungen. Dabei werden aus chemischen Reinstoffen (…) oder einfachen Verbindungen (…) neue Verbindungen hergestellt. Unter anderen können das chemische, mikrobielle oder enzymatische Synthesen sein (…). Aus den chemischen Eigenschaften eines Produktes kann in der Regel nicht auf dessen Herstellungsverfahren geschlossen werden.”

Die Initianten hingegen definieren auf Ihrer Website ein synthetisches Pestizid als “ein von Chemikern erfundenes Molekül, das in der Natur nicht existiert”. Diese Moleküle seien viel giftiger als natürlich vorkommende Moleküle. Allerdings wird diese Interpretation vom Initiativtext nicht gestützt.

Folgt man den Ausführungen des Bundesrats, erfasst die Initiative Pestizide, die durch eine Synthese hergestellt werden. Sie können naturidentisch oder auch nicht-naturidentisch sein.

Im Labor hergestellte, synthetische Mittel haben gegenüber natürlichen Mitteln erhebliche Vorteile bei der Herstellung und bei der Haltbarkeit. Zudem wirken sie spezifischer und präziser. Gewisse in der Umwelt natürlich vorkommende Stoffe, die als Pestizide eingesetzt werden, werden auch deshalb synthetisch hergestellt, weil der Bedarf die natürliche Verfügbarkeit übersteigt (z.B. Pheromone). Im Labor hergestellte Pestizide werden auch im Bio-Anbau verwendet, wie z.B. Kupfersulfat, Schwefel, Kaliseife oder Eisenphosphat. Im Bio-Weinbau werden beispielsweise kupferhaltige Mittel bei der Bekämpfung von Peronospora (Mehltau bei Reben) eingesetzt.

Wie ist die Haltung der Bio-Produzenten?

Unter den Bio-Produzenten herrscht Uneinigkeit über die Haltung zu den Agrar-Initiativen. Die Initiative “Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide” wird z.B. von der IG Bio abgelehnt, von der Bio Suisse hingegen unterstützt. Letztere geht offenbar davon aus, dass das Verbot nicht alle synthetischen Pestizide erfasst, sondern nur chemisch-synthetische Pestizide. Deren Einsatz sei, so die Begründung von Bio Suisse, gemäss ihren Richtlinien bereits verboten. Allerdings gibt es auch unter den Mitgliedern von Bio Suisse Gegner beider Agrar-Initiativen.

Würden Desinfektionsmittel verboten?

Ein totales Verbot der Verwendung von Pestiziden würde z.B. auch Desinfektionsmittel erfassen. Deren Bedeutung für die menschliche Gesundheit wird uns derzeit in der Pandemie deutlicher vor Augen geführt als uns lieb ist.

Welches wären die Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit?

Biozide spielen nicht nur für die menschliche Hygiene eine Rolle, sondern auch für die Lebensmittelsicherheit. Bei einer Annahme der Initiative “Für eine Schweiz ohne Pestizide” dürften gewisse Reinigungs- und Desinfektionsmittel bei der Lagerung und Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nicht mehr verwendet werden. Diese Mittel helfen, die Hygienevorschriften und damit die Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben einzuhalten. Können Hygienevorschriften nicht eingehalten werden, dürfen die entsprechenden Produkte nicht mehr als Lebensmittel verkauft werden.

Gäbe es noch Schweizer Zucker?

Wird bei der Definition von synthetischen Pestiziden auf die Herstellungsweise abgestützt, würde künftig auch ein Teil der heute im Bio-Landbau verwendeten Pestizide verboten.

Selbst bei einer engeren Definition, gemäss welcher die heute im Bio-Landbau eingesetzten Pestizide weiterhin zulässig wären, würden ganze Kulturen, z.B. Zuckerrüben, künftig kaum mehr in der Schweiz angebaut werden. Trotz Förderung und starkem Wachstum in den letzten Jahren ist der Bio-Anteil beim Schweizer Zucker heute verschwindend klein. Auch wenn dieser Anteil in den nächsten Jahren massiv wachsen würde, könnte damit auch nach Ablauf der Übergangsfrist voraussichtlich keine Zuckerfabrik ausgelastet und die Nachfrage des Markts nicht befriedigt werden.

Was wären die wirtschaftlichen Folgen?

Gemäss einer Studie von Professor Charles Gottlieb von der Universität St. Gallen (HSG) würde bei einer Annahme der Initiative “Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide” der Selbstversorgungsgrad von aktuell 58% auf 42% sinken. Die inländische Versorgung mit Zucker, Früchten, Gemüsen, Kartoffeln und Fleisch würde stark erschwert.

Wegen den restriktiven Auflagen würden die Kosten für Agrarrohstoffe (z. B. Getreide, Zucker, pflanzliche Öle) stark steigen. Exportorientierte Schweizer Lebensmittelproduzenten hätten damit gegenüber der ausländischen Konkurrenz einen weiteren Wettbewerbsnachteil.

Auch die Verfügbarkeit importierter Lebensmittel wäre beeinträchtigt. Zum Beispiel entspricht die Schweizer Nachfrage nach Kaffeebohnen über 20% des Bio-Weltmarkts für Kaffee. Die jährlich in die Schweiz importierte Menge an Kakao entspricht zwar nur ca. 2% der Weltkakao-Ernte, aber rund 50% der weltweit angebauten Menge an Bio-Kakao. Zwar ist die Schweiz führend im Konsum von Bio-Produkten, insbesondere auch im Schokoladebereich. Allerdings exportieren wir rund 70% der knapp 200'000 Tonnen in der Schweiz hergestellten Schokolade in über 100 Länder. Eine Einschränkung des Angebots auf Bio-Produkte wäre in diesen Märken schlicht unmöglich. Als Folge des weitestgehenden Versiegens der Absatzkanäle würden Produktionskapazitäten reduziert, was mit einem entsprechenden Abbau von Arbeitsplätzen verbunden wäre.

Würden Lebensmittel teurer?

Die Erschwernisse für Produktion und Verarbeitung in der Schweiz sowie die Importverbote der Initiative «Für eine Schweiz ohne Pestizide» würden zu steigenden Lebensmittelpreisen in der Schweiz führen.

Weil nur der gewerbliche, nicht aber der private Import verboten würde, wäre eine starke Zunahme des Einkaufstourismus die unvermeidliche Folge.

Würde internationales Recht verletzt?

Das Importverbot der Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» würde den Grundsätzen des internationalen Handelsrechts (WTO-Recht) und den Handelsabkommen der Schweiz (insbesondere mit der EU) widersprechen. Deshalb müsste mit Sanktionen anderer Staaten gerechnet werden.

Ist “Bio” ein Synonym für “Nachhaltig”?

Viele Produzenten von exotischen Rohstoffen wie Kakao sind mit komplexen ökonomischen und sozialen Herausforderungen konfrontiert. Mit Blick auf die verschiedenen Massnahmen zur Stärkung der Nachhaltigkeit in den Anbaugebieten und der erhöhten Sensibilisierung von Konsumentinnen und Konsumenten ist in den nächsten Jahren zwar mit einem tendenziellen Wachstum von biologisch angebauten Rohstoffen zu rechnen. Allerdings ist Bio in den meisten Märkten weiterhin eine Nische. Eine alleinige Fokussierung darauf würde zudem weder den vielschichtigen Herausforderungen im Nachhaltigkeitsbereich noch möglichen Zielkonflikten (z.B. hinsichtlich Flächenverbrauch) gerecht.

Die ökologische, die soziale und die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit müssen gleichsam berücksichtigt werden. Im Bereich der Ökologie unterstützen Schweizer Unternehmen beispielsweise wichtige Aktivitäten zur Erhöhung der Klima-Resilienz von Kakaobäuerinnen und Kakaobauern, u.a. durch die Förderung von Agroforst-Modellen.

Wie sieht der Gegenvorschlag aus?

Die Initiativen kommen ohne formellen Gegenvorschlag vor das Volk. Ein faktischer Gegenvorschlag liegt dennoch auf dem Tisch.

Der inoffizielle Gegenvorschlag liegt in Form einer Parlamentarischen Initiative (Pa.Iv.) der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) mit dem Titel «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» vor. Das Parlament hat die Beratung dieser Pa.Iv. in der Frühlingssession 2021 abgeschlossen.

Die Pa.Iv. enthält Änderungen des Landwirtschaftsgesetzes (LwG), des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) und des Chemikaliengesetzes (ChemG). Sie bezwecken die Reduktion der Risiken durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Reduktion der Nährstoffverluste. Demnach müssen die mit Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risiken für Flüsse und Seen, naturnahe Lebensräume und als Trinkwasser genutztes Grundwasser bis 2027 um 50 Prozent reduziert werden, und es werden strenge Grenzwertbestimmungen eingeführt.

Die vom Parlament beschlossenen Vorgaben werden als Nächstes auf Verordnungsebene konkretisiert. Im Rahmen der Pa.Iv. sollen auch bereits Massnahmen umgesetzt werden, die der Bundesrat in der Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) vorgeschlagen hat. Diese sollen in einem ersten Verordnungspaket umgesetzt werden, das kürzlich in die Vernehmlassung geschickt wurde. Die teilrevidierten Verordnungen werden zusammen mit dem Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden (Änderung des Chemikaliengesetzes, des Gewässerschutzgesetzes und des Landwirtschaftsgesetzes) in Kraft treten.

Ein zweites Verordnungspaket zur Umsetzung der in der Pa.Iv. vorgesehenen Änderungen des GSchG, des ChemG (bezüglich Biozidprodukte) und der restlichen Änderungen des LwG wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgearbeitet und in die Vernehmlassung gegeben.

Wie ist die Position von CHOCOSUISSE|BISCOSUISSE?

Die Minimierung des Einsatzes von Pestiziden ist ein wichtiges Ziel. Die Initiativen sind aber extrem und schiessen weit über das Ziel hinaus. Sie würden zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit und zum Verlust von Arbeitsplätzen in der Schweiz führen. Deshalb lehnen CHOCOSUISSE und BISCOSUISSE die Initiativen ab.

Auf dem Weg zu mehr Ökologie braucht die Schweizer Landwirtschaft Unterstützung. Dabei müssen Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. Agrargrenzschutzbedingte Nachteile der zweiten Verarbeitungsstufe müssen abgebaut oder ausgeglichen werden. Sonst drohen Produktionsverlagerungen und eine weitere Verdrängung durch Importprodukte.

Urs Furrer, 3. Mai 2021